tekom-Bericht Teil 1: Überwarnung ist real

von Frauke Becker am 19. November 2018

Auf der tekom-Jahrestagung war das Informationsangebot zu Normen und Richtlinien groß. Unter anderem fanden sich Normungsexperten wie Jens-Uwe Heuer-James und Torsten Gruchmann zu einer Podiumsdiskussion zusammen, in der immer wieder anklang: Wir brauchen eine IEC 82079-1.

Spagat zwischen Lesbarkeit und rechtlichen Anforderungen

Ist eine horizontal ausgerichtete Prozessnorm IEC 82079-1 mit der Anwendung von spezifischen Produktnormen vereinbar? Über diese Frage entwickelte sich eine angeregte Diskussion, in der der alltägliche Spagat des Redakteurs zwischen Lesbarkeit und Benutzerfreundlichkeit seiner Anleitungen auf der einen Seite und dem Genügen von rechtlichen Anforderungen an sein Produkt auf der anderen Seite herausgearbeitet wurde. Auch die juristischen Auswirkungen dieses Spagats fanden Erwähnung.

Bei der Ausgangsfrage der Diskussion - wann kollidieren die Produktnormen mit der 82079-1 - zeigte sich die auffälligste Diskrepanz bei den unterschiedlichen Auffassungen über Gewichtung von Warn- und Sicherheitshinweisen.

Die IEC 82079-1 fordert, dass Benutzer sowohl über allgemeine Sicherheitsrisiken des Produkts als auch über spezifische Gefährdungen während der Nutzung gewarnt werden. Letztere sollen als Warnhinweise am Ort der Handlung eingebunden werden. Allerdings soll vermieden werden, dass diese zu häufig verwendet werden. Die Hinweise finden ihren Weg in die Anleitung über eine Risikobeurteilung und sollen nur für solche Risiken verwendet werden, die konstruktiv nicht abzufangen sind.

Keine Vermutungswirkung

Im Gegensatz zu den Produktnormen der Hersteller, in der Regel C-Normen, löst die IEC 82079-1 als nicht-harmonisierte Norm keine Vermutungswirkung aus und hat somit keine juristische Verbindlichkeit.

(Vermutungswirkung: Im Konformitätsbewertungsverfahren von Produkten geben Richtlinien die allgemeinen Sicherheitsanforderungen vor und produktspezifische Details werden in mit diesen Richtlinien harmonisierten Normen festgelegt. Wird also ein Produkt anhand einer harmonisierten Norm entwickelt und hergestellt, wird vermutet, dass damit auch die Vorgaben der dazugehörigen Richtlinien eingehalten sind).

Im Gefüge der firmeninternen Normenlandschaft eines Herstellers genieße die 82079-1 also häufig einen geringen Stellenwert. Einwände von Redakteuren, dass zu viele Warn- und Sicherheitshinweise zu Unlesbarkeit führten, würden daher nicht ernstgenommen.

Podiumsdiskussion u.a. mit Sissi Closs und Jens-Uwe Heuer-James

Juristisch wasserdichte Anleitungen durch mehr Sicherheitshinweise?

Stattdessen sei es häufige Praxis, aus Warnhinweisen weitere Sicherheitshinweise abzuleiten, um die Anleitung vermeintlich juristisch wasserdicht zu machen.  Dass diese vermeintliche Absicherung häufig das Gegenteil bewirkt, erklärte Heuer-James folgendermaßen: Durch den fehlenden Zusammenhang der Sicherheitshinweise im Kontext der Handlung und das Bestreben von Redakteuren, Abschnitte wie das Sicherheitskapitel für möglichst viele Produktgruppen wiederverwendbar zu machen, würden Hinweise generalisiert und zusammengedampft. Dadurch würden sie unkonkret (es fehlen genaue Ursache, Auswirkung oder Abhilfe) und somit juristisch inkorrekt und irrelevant.

Aus juristischer Sicht sind Hersteller nicht an Normen gebunden, aber es sprechen laut Heuer-James weitere Aspekte für die Berücksichtigung der IEC 82079-1 im Redaktionsprozess. Die Norm mache Vorgaben für ein richtiges Vorgehen bei der Erstellung und Strukturierung von Benutzerinformationen. Da Produktnormen im Streitfall nicht selten schon veraltet seien, könnte sich der Hersteller mit dem Befolgen dieser Prozessnorm zusätzlich absichern. Zusätzlich orientiere sich die IEC 82079-1 am aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik. Das wird vom deutschen Produkthaftungsgesetz gefordert.

Insgesamt also bildet die IEC 82079-1 ein gutes Fundament für Rechtssicherheit.

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