Technische Dokumentation, Schulung und E-Learning. Oder: Wie man Geld verbrennt

von Mark Schubert am 17. Februar 2012

Technische Dokumentation bedeutet, Informationen zu recherchieren und aufzubereiten. Zielgruppengerechte Informationsvermittlung soll es ermöglichen, ein Produkt zu nutzen oder einem Prozess zu folgen. Dabei steht die unmittelbare Verfügbarkeit der benötigten Information im Vordergrund. Oft soll eine Handlungsanweisung schnell zum Ziel führen. Es ist nicht zwangsläufig notwendig, dass der Anwender sein Handeln versteht und die zugrunde liegenden Mechanismen nachvollziehen kann. Wird eine komplexe Information jedoch regelmäßig nachgeschlagen, kann es sich auszahlen, ein vertieftes Verständnis der Materie anzustreben. Einmalig einen Tag für eine Schulung zu investieren, kostet Geld, kann sich aber auszahlen.

Der Weg vom klassischen Informationsprodukt Technischer Dokumentation hin zur Schulung ist oftmals nicht weit. Die nötigen Informationen sind vorhanden und in der Technischen Redaktion idealerweise gebündelt. Nun muss nur noch das nötige Material aufbereitet und ein Termin für die Schulung gefunden werden. 

Teilnehmer rein, Wissen rein, Schulung abhaken und Profit einstreichen, fertig!

Wenig verwunderlich, dass sich die Praxis etwas komplizierter darstellt. Denn der obigen verkürzten Darstellung liegen gleich mehrere Fehlannahmen zugrunde. Wer sinnvoll in Wissen investieren und nicht einfach Geld verbrennen will, sollte diese Fehlannahmen ausräumen.

Termin finden

Mitarbeiter aus der Routine des Betriebes zu reißen, kostet nicht nur Geld für Fahrt und Unterkunft, sondern zieht auch Arbeitskraft ab, die kompensiert werden muss. Nimmt eine größere Anzahl an Personen an der Schulung teil - was meist wünschenswert ist, um die Ressource Schulungstag auszukosten -, kann der Ersatz der Ausfälle zum organisatorischen Problem werden. Für eine klassische Schulung müssen Teilnehmer und Trainer aber zwangsläufig zur selben Zeit am selben Ort sein. Diese Gleichzeitigkeit kennzeichnet Präsenzschulungen und wird als synchrone Kommunikation bezeichnet.

Teilnehmer rein

Auch die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises erscheint nur auf den ersten Blick unproblematisch. Technische Redakteure befassen sich zwar intensiv damit, ihre Zielgruppen zu analysieren, aber für eine Schulung bekommen Unterschiede in der Zielgruppe eine andere Bedeutung. Das Vorwissen der Teilnehmer beeinflusst das Leseverhalten einer Anleitung: Wann nehmen sie die Anleitung zur Hand, wie suchen sie nach Informationen, was lesen sie? Bei Anleitungen kann der Leser den Prozess der Informationsgewinnung frei gestalten, während er in der Schulung nicht allein ist. Als Schulungsteilnehmer muss er Rücksicht auf das Vorwissen und das Tempo der anderen nehmen. Das Lernen in einer Schulung ist ein sozialer Prozess, dem die Teilnehmer mit unterschiedlichen Voraussetzungen beitreten.

Wissen rein

Den Teilnehmer gleich einem leeren Gefäß mit Wissen zu füllen, das war lange gängige Vorstellung und ist in der Didaktik als Behaviorismus bekannt. Wenn nun alle Teilnehmer versammelt sind und der Trainer das vorbereitete Material präsentiert, kann ja nichts mehr schief gehen.

Der Behaviorismus verstand Lernen als Folge von Reiz und Reaktion. Welche Lernprozesse sich bei den Teilnehmern abspielen, bleibt dieser Sichtweise verborgen. Doch schon allein die Erkenntnis, dass nicht alle Teilnehmer gleich sind und dass das Zusammenspiel von Teilnehmern und  Trainer eine soziale Dimension aufweist, verdeutlicht die Unzulänglichkeit dieser vereinfachten Sichtweise.

Schulungen, die der heterogenen Zusammensetzung Rechnung tragen wollen, begreifen Lernen als sozialen, kommunikativen Prozess, in dem Teilnehmer mit unterschiedlichen Kenntnissen und Kompetenzen für sich Wissen konstruieren. Sie berücksichtigen folgende Punkte:

  • Lernen geschieht in einem sozialen Kontext.
  • Lernen knüpft an Vorwissen an.
  • Lernen ist ein individuell variierender Prozess.
  • Lernen ist ein Konstruktionsprozess.

Profit einstreichen?

Mit dem Lernenden als Individuum im Mittelpunkt des Lernprozesses stellt sich die Frage, wie eine Präsenzveranstaltung mit zeitlichen Zwängen und inhaltlichen Kompromissen allen Teilnehmern gerecht werden kann. Wie wird eine Schulung gewinnbringend und verbrennt eben nicht nur Geld?

Individuell und flexibel

Präsenzveranstaltungen sind zwangsläufig zeitlich und räumlich gebunden. Die Folgen dieser Einschränkung sind nicht zu unterschätzen. Der Mitarbeiter wird in eine Lernsituation gebracht, auch wenn individuelle Gründe gerade dagegen sprechen mögen. Das Unternehmen muss die Teilnehmer freistellen, auch wenn es Engpässe gibt. In der Vergangenheit waren Fernlehrgänge eine Möglichkeit, den zeitlichen und räumlichen Einschränkungen zu begegnen und flexibles Lernen zu fördern. Doch hier saß der Lernende die meiste Zeit alleine im stillen Kämmerlein. Mögliche Synergie-Effekte durch das gemeinsame Lernen gingen weitgehend verloren. In diese Lücke springt, befeuert durch die technologische Entwicklung des letzten Jahrzehnts, das E-Learning.

Die Technik macht's

Wenn von E-Learning gesprochen wird, meint jeder etwas anderes. Wofür steht das "E" in E-Learning? Der englischen Bezeichnung electronic learning steht der berechtigte Einwand entgegen, dass Lernen selbstverständlich kein elektronischer, sondern ein kognitiver Prozess ist. Begreift man also das "E" als enabling technology, stellt sich wiederum die Frage, welche Technologien gemeint sind - welche Technologien Lernen ermöglichen.

Die Forschung unterscheidet hier zwischen engen und weiten Definitionen. Im Folgenden gehen wir von einer engen Definition des E-Learning aus, die sich auf die Vorzüge von webbasierten Techniken bezieht.

Vernetzt und verfügbar

Vernetzte Computersysteme sollen den Lernprozess unterstützen. Lernen muss natürlich jeder Teilnehmer nach wie vor selbst. Aber der Vorteil von web-based training (WBT) ist die Flexibilität der Technik, die zeitliche und räumliche Einschränkungen konventioneller Schulungen aufhebt. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Internetzugängen in Arbeitswelt und Privatbereich werden Lerninhalte, die online angeboten werden, zu jeder Zeit und fast überall verfügbar. So kann der Lernende Zeitpunkt und Ort weitgehend selbst bestimmen. Arbeitszeit lässt sich effektiver nutzen, der Mitarbeiter kann eine Lerneinheit absolvieren, wenn weniger zu tun ist. Durch flexiblen Zugang und ständige und wiederholbare Verfügbarkeit von Inhalten kann man dabei den individuellen Gegebenheiten wie Vorwissen, Lerntempo und Interessen Rechnung tragen.

Nicht nur die flexible Verfügbarkeit der Inhalte, sondern auch deren Beschaffenheit kommt den individuellen Unterschieden der Lernenden entgegen. Eine WBT-Umgebung ermöglicht das Nebeneinander von Text, Bild und Ton. Die Lernenden können sich je nach individueller Präferenz bedienen.

Gemeinsam und gesellig

Lernen geschieht in sozialem Kontext, sagen die Konstruktivisten unter den Lerntheoretikern. Und vermutlich können die meisten bestätigen, dass es leichter fällt, sich an Inhalte zu erinnern, die man selbst diskutiert oder einem anderen Teilnehmer vermittelt hat. Während Lernen am Computer auf den ersten Blick eine einsame Angelegenheit zu sein scheint, ist es gerade die zeitliche und räumliche Flexibilität, die die Kommunikation mit anderen Lernenden erleichtert. Ohne großen technischen Aufwand kann man über webbasierte Lernplattformen Informationen austauschen, sei es via Message-Boards, Mailverteiler, digitale Kalender oder Funktionen zum Austausch von Dateien. Zu diesen Formen der zeitlich unabhängigen asynchronen Kommunikation gesellen sich die Möglichkeiten synchroner Kommunikation durch Instrumente wie Chat, Videostreaming und Internettelefonie.

Werden diese Möglichkeiten geschickt genutzt, können die Lernenden unabhängig von Zeit- und Raumproblemen gemeinsam Aufgaben lösen, sich austauschen und kooperativ Wissen erarbeiten.

Besser ist kostengünstiger

Alles gut und schön, aber was soll so eine Online-Schulung denn kosten? An den Redakteur stellt sie Anforderungen, die über sein eigentliches Tätigkeitsprofil hinausgehen. Neben didaktischen Kenntnissen benötigt er Fähigkeiten im Umgang mit audiovisuellen Medien und der eingesetzten webbasierten Lernplattform. Der Aufbau von Know-how in der Technischen Redaktion bedeutet in der Regel mehr Kosten, doch eine Investition an dieser Stelle erschließt das in der Technischen Redaktion gesammelte Wissen weiteren Kreisen.

Diese Kosten sind also kein verbranntes Geld. Wenn qualifizierte Technische Redakteure das Ergebnis ihrer Dokumentationsarbeit für Schulungen verwenden, wird das Produkt ihrer Arbeit ein weiteres Mal genutzt. Ist das Ergebnis eine angepasste individuelle Lernerfahrung, wie sie WBT bieten kann, bedeutet dies größeren Lernerfolg und damit einen höheren Zielerreichungsgrad für das eingesetzte Geld.

Damit nicht genug, den höheren Anfangskosten stehen die Vorteile des WBT gegenüber: schnelle ortsunabhängige Distribution, höchstmögliche Aktualität und leichte Wiederverwendbarkeit. So kann mit E-Learning die Wissensvermittlung sowohl den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmer als auch den Effizienzforderungen des Unternehmens gerecht werden.

Literatur

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