Struktur gegen Chaos. Wie Sie mit strukturierten Wikis Ordnung schaffen

von Ulrike Parson am 22. Juni 2015

Es gibt viele Gründe, warum ein Unternehmenswiki scheitert: falsche Wahl der Software, fehlende Unterstützung der Geschäftsleitung, zu wenig Zeit für die Pflege. Dieser Artikel wird sich nicht mit all diesen Gründen beschäftigen, sondern sich auf unstrukturierte Inhalte und die Wiederauffindbarkeit von Artikeln konzentrieren.

Viele Unternehmenswikis werden mit noblen Absichten ins Leben gerufen. Die Mitarbeiter sind anfangs motiviert, ihr Wissen zur Verfügung zu stellen. Da alle Inhalte in einem Wiki sofort online verfügbar sind, füllen sich neue Wikis in der ersten Phase nach der Einführung schnell. Doch viele von ihnen erleiden im weiteren Verlauf ein trauriges Schicksal: Sie versinken im Chaos. Die Navigation ist unübersichtlich und Artikel werden nicht gefunden. Findet man doch einen Artikel, weiß man nicht, ob der Inhalt noch aktuell ist.

Unstrukturierte Inhalte verhindern den Überblick

Offenheit und gemeinsames Schreiben zeichnen ein Wiki aus. Beides zu vereinbaren ist eine Herausforderung. Denn Mitarbeiter eines Unternehmens haben unterschiedliche Qualifikationen, Erfahrungen und Ansprüche. Sie schreiben, formatieren und gliedern ihre Wiki-Artikel unterschiedlich. Zentrale Vorlagen zur Vereinheitlichung fehlen in der Regel oder ihre Verwendung wird nicht durchgesetzt.

Die Leser müssen sich daher auf jeden Artikel neu einstellen und finden Informationen nicht auf den ersten Blick.

Bild 1: Unstrukturierte Aufgabenbeschreibung in einem Wiki

Das Beispiel in Bild 1 zeigt eine unstrukturierte Aufgabenbeschreibung, die keine erkennbare Aufgabengliederung hat: Ziel, Voraussetzungen, schrittweises Vorgehen und Ergebnis sind nicht sofort erkennbar (Bild 1, 1). Auch der Warnhinweis findet sich nur versteckt im Text und ist nicht hervorgehoben (Bild 1, 2). Dass unstrukturierte Artikel unübersichtlich wirken, hängt auch damit zusammen, dass der Informationstyp oft nicht sofort erkennbar ist. Worum geht es hier: eine Arbeitsanweisung, ein Konzept, ein Brainstorming, ein Meeting-Protokoll?

Auch mangelnde Navigation und Kategorisierung können zu diesem Eindruck beitragen. Wiki-Autoren können zwar Kategorien einrichten, Tags für Artikel vergeben, die Artikel miteinander verlinken oder Portalseiten anlegen, um einen Überblick über einen bestimmten Wiki-Bereich zusammenzustellen. Meist jedoch sind Verschlagwortung, Kategorisierung und Verlinkung Sache des Autors. Wenn ein Wiki wächst, dann wird es ohne ein zentrales Konzept zum Aufbau einer Struktur und ohne kontinuierliche Pflege der Inhalte und Verlinkungen immer schwieriger für den Leser, einen Artikel zu finden. Oft werden Inhalte doppelt hinzugefügt, weil Autoren die vorhandenen Artikel nicht kennen.

Wenn für das gemeinsame Schreiben keine Arbeitsabläufe definiert sind oder diese nicht eingehalten werden, dann sind der Bearbeitungsstatus oder die Aktualität von Artikeln nicht transparent. So wissen die Leser nicht, ob die Inhalte vertrauenswürdig sind. Wesentlich für die Nutzung eines Wikis sind aber Inhalte, auf deren Aktualität und Relevanz sich die Leser verlassen können.

Strukturiertes Schreiben sorgt für Transparenz

Technische Redakteure kennen die beschriebenen Probleme. Auch ihre Leser müssen Informationen schnell finden und erkennen, ob ein Dokumentationsthema relevant für sie ist. Auch technische Dokumentation entsteht zumeist in einem Team. Deswegen gibt es für die technische Dokumentation Werkzeuge und Methoden, um zielgruppengerechte Inhalte auffindbar zu gestalten und gemeinsames Schreiben zu unterstützen:

  • Standardisierung und Strukturierung: Technische Redakteure verwenden Informationsarten, die nach ihrer Funktion klassifiziert sind. Dieselben Informationsarten sehen so immer gleich aus. Die Leser wissen sofort, welche Art von Information sie vor sich haben. Sie können sich schnell orientieren und finden einzelne Informationen im Text. Typische Informationsarten sind u.a. Aufgaben, Konzepte und Referenzinformationen. XML-basierte Dokumentation verwendet als Unterstützung standardisierte XML-Strukturdefinitionen wie DITA [1], PI-Mod [2] oder S1000D [3].
  • Standardisierte Metadaten: Texte in technischer Dokumentation werden mit Metadaten versehen, um sie nach Verwendungszweck, Fachgebiet, Zielgruppe, technischer Komponente/Funktion oder Produktvariante zu kategorisieren. Redaktionssysteme und XML-Editoren unterstützen die Autoren bei der Zuweisung dieser Metadaten. Automatische Publizierungswerkzeuge nutzen die Metadaten für den Aufbau von Navigationsstrukturen, Stichwortverzeichnissen oder das Filtern von Inhalten.
  • Aufbau einer Navigation: Inhalte in Dokumentation sind oft hierarchisch aufgebaut, so dass man einfach über- und untergeordnete Themen findet. Zudem können Beziehungen zwischen Themen definiert werden. Inhaltsverzeichnisse und Links zwischen verwandten Themen werden von den Werkzeugen automatisch erzeugt.
  • Workflows: Redaktionssysteme bieten automatisierte Workflows für die Erstellung, Freigabe und Übersetzung von Inhalten.

Bild 2: Vergleich unstrukturiertes Wiki vs. Werkzeug für strukturierte Dokumentation

Vereinfacht dargestellt, bieten die Werkzeuge der technischen Dokumentation viele Vorteile gegenüber unstrukturierten Wikis (siehe Bild 2). Aber die dargestellten Konzepte des strukturierten Schreibens können Sie auch für ein Wiki einsetzen – und aus einem unstrukturierten Wiki ein strukturiertes machen. Auf diese Weise unterstützt ein Wiki Autoren bei der Erstellung und Pflege von Inhalten und den Leser beim Finden von Artikeln und einzelnen Informationen.

Strukturen für Autoren einrichten

Formulare und Vorlagen verhelfen dem Wiki zu einer klaren Struktur. Formulare für Informationsklassen sorgen dafür, dass Artikel mit derselben Informationsklasse immer gleich aussehen. Die Formulare leiten die Autoren beim Eingeben der Inhalte und stellen ihnen eine Struktur zur Verfügung (siehe Bild 3). Hilfetexte innerhalb der Formularfelder erklären den Autoren, welche Inhalte sie in die jeweiligen Felder eingeben können. Das Layout des Artikels wird automatisch berechnet, da die Formulare mit den Vorlagen verbunden sind.

Bild 3: Formular im SemanticMediaWiki für die Informationsklasse "Aufgabe"

Welche Formulare grundsätzlich zur Verfügung gestellt werden, hängt davon ab, welche Informationsklassen es in einem Unternehmenswiki gibt. Für interne technische Dokumentationen kann man sich an den DITA-Informationsklassen orientieren:

  • Aufgabe (task)
  • Konzept (concept)  
  • Referenzinformation (reference)

Weitere mögliche Klassen sind:

  • Projektbeschreibung
  • Tool-Beschreibung  
  • Meeting-Protokoll

Bei der Definition der Informationsklassen hilft zum Beispiel die Systematik des Funktionsdesigns, das in der technischen Dokumentation für die Standardisierung eingesetzt wird [4].

Zusätzlich ist wichtig, dass die Autoren allgemeine Regeln des Schreibens von Gebrauchstexten kennen und einhalten, u.a.:

  • Terminologie: Die Unternehmensterminologie muss auch im Wiki eingehalten werden.
  • Schreibregeln: Schreibregeln sollten aufgestellt und deren Einhaltung kontrolliert werden.
  • Zielgruppen: Beim Schreiben muss berücksichtigt werden, an welche Leser mit welchen Erfahrungen/Vorkenntnissen sich die Artikel richten.
  • Minimalistischer Schreibstil: Die Informationen sollten möglichst kurz dargestellt und beschrieben werden.

Eine grundsätzliche Orientierung an diesen Standards und Schreibkonventionen stellt sicher, dass die Leser Informationen in den Artikeln verstehen und zuverlässig einordnen können.

Zugriffsstrukturen für Leser schaffen

Zugriffsstrukturen ermöglichen es den Lesern, schnell den richtigen Artikel zu finden und seine Relevanz zu erkennen. Sie werden in einem Wiki vor allem durch die Verwendung von Metadaten und den Einsatz einer eindeutigen Navigationsstruktur erstellt.

Metadaten nutzen

Metadaten beschreiben die Eigenschaften anderer Daten, enthalten aber nicht diese Daten selbst. Werden Wiki-Inhalten Metadaten zugewiesen, wird damit bereits das Grundgerüst für ein strukturiertes Wiki erstellt. Eine Erweiterung um Metadaten bietet zum Beispiel die kostenlose Open-Source-Plattform Semantic MediaWiki [5]. Auch für das kommerzielle Wiki Confluence [6] ist ein Metadaten-Plug-In verfügbar. Beispiele für Metadaten sind:

  • Zielgruppe
  • Suchkategorien oder Index-Schlagworte
  • Statusinformationen
  • Informationsart, z.B. Arbeitsanweisung, Einarbeitungsmaterial
  • Für hierarchisch gegliederte Inhalte: Position in der Hierarchie
  • Relationen zu verwandten Artikeln

Welche Metadaten im konkreten Fall verwendet werden, hängt vom Zweck des Wikis ab.

Mithilfe von vordefinierten Metadaten mit festen Werten schaffen Sie eine Taxonomie für die Inhalte des Wikis. Vordefinierte Metadaten lenken die Kategorisierung der Inhalte in geordnete Bahnen – im Unterschied zu einer Folksonomy, bei der Anwender freie Schlagwörter vergeben. Bei Unternehmenswikis führt eine geordnete Kategorisierung zu einer erhöhten Übersichtlichkeit. Um die Autoren beim Zuweisen von Metadaten zu unterstützen, können Metadaten auch in die Formulare für die Inhaltserstellung integriert werden.

Bild 4: Eingrenzen von Suchergebnissen mit vordefinierten Tags (Semantic MediaWiki)

Um anhand der Metadaten den Zugriff der Leser zu strukturieren, können diese auf verschiedene Art und Weise ausgewertet werden. Folgende Funktionen können beispielsweise mit Metadaten umgesetzt werden:

  • Semantische Suche und vordefinierte Suchfilter zur Eingrenzung von Suchergebnissen (siehe Bild 4)
  • Automatische Erzeugung von Links zwischen verwandten Themen
  • Inhaltsverzeichnisse und Navigationsstrukturen für hierarchisch gegliederte Inhalte
  • Kennzeichnen der Zielgruppe eines Artikels, zielgruppenspezifisches Filtern oder Zugreifen auf Inhalte (siehe Bild 5)

Bild 5: Zielgruppenspezifischer Zugriff auf Inhalte (Semantic MediaWiki)

Welche Funktionen in einem konkreten Wiki für die Leser zur Verfügung stehen, ist nicht zuletzt von der verwendeten Wiki-Software abhängig.

Navigationsstrukturen erstellen

Manche Inhalte müssen sequenziell gelesen werden, andere Inhalte sind nur für spezifische Zielgruppen oder Projekte relevant. Deshalb ist es wichtig, dass ein Wiki nicht nur eine leistungsstarke Volltextsuche hat, sondern auch angepasste Navigationsstrukturen. Die Art der Navigation wird dabei von der Art der Information bestimmt. Für eine interne Dokumentation, die hierarchisch gegliedert ist, eignet sich zum Beispiel ein Inhaltsverzeichnis (siehe Bild 6). Weitere Navigationsmöglichkeiten sind Vor/Zurück-Schaltflächen zum Blättern und die Anzeige der Position des Artikels in der Inhaltshierarchie (Brotkrumennavigation).

Bild 6: Navigationsfunktionen für hierarchische Inhalte (Semantic MediaWiki)

Wichtig sind auch Portalseiten, die schnell Übersicht über einen bestimmten Bereich schaffen. Einige Wiki-Produkte bringen solche Funktionen standardmäßig mit, u.a. Confluence oder DokuWiki. In anderen Wikis braucht dafür man Erweiterungen oder Plug-Ins.

Arbeitsabläufe regeln

Unternehmenswikis unterscheiden sich von Wikipedia & Co.: Mitarbeiter wollen schnell relevante Informationen finden, die sie für ihre Arbeitsaufgaben benötigen. Wissenserwerb oder persönliche Interessen stehen im Hintergrund. Deshalb kann es in einem Unternehmenswiki notwendig sein, die Prozesse der Erstellung und Pflege von Informationen stärker zu regeln. Definierte Workflows unterstützen die Autoren und stellen sicher, dass die Leser auf den ersten Blick erkennen, ob ein Artikel freigegeben oder noch in Arbeit ist.

Wie ein Workflow für Wiki-Inhalte umgesetzt wird, hängt von der verwendeten Wiki-Software ab. Im Semantic MediaWiki lassen sich dafür Metadaten und Abfragen verwenden, für Confluence gibt es verschiedene Plug-Ins wie Comala Workflow oder Scroll Office.

Bild 7: Status- und Workflow-Informationen (Semantic MediaWiki)

Ist ein strukturiertes Wiki automatisch ein gutes Wiki?

Es ist ein Anfang. Es gibt weitere Faktoren, die ein strukturiertes Wiki erst erfolgreich machen, unter anderem:

  • Der Zweck eines Wikis: Werden andere Systeme für den gleichen Zweck eingesetzt, sollte man sich für eines entscheiden.
  • Die Besetzung von Rollen: Die Ersteinrichtung eines Wikis ist nur ein Anfang, bis zum gemeinsamen Arbeiten ist es noch ein weiter Weg. Unabdingbar sind dazu Redakteure, die Artikel schreiben und bearbeiten, darüber hinaus Administratoren für Backups und Installationen. Und Sie brauchen Wiki-Gärtner, die Ideen für Artikel sähen und Unkraut in Form von doppelten Informationen oder falschen Strukturen jäten. Die Leser fahren die Ernte ein: hochaktuelle und wertvolle Informationen.
  • Gute Inhalte: Schlechte oder unvollständige Inhalte werden nicht allein dadurch besser, weil sie strukturiert sind. Notwendig ist eine sorgfältige Erarbeitung und Redaktion der eingestellten Artikel.
  • Unterstützung im Unternehmen: Für ein erfolgreiches Wiki ist auch die Unterstützung des Unternehmens, insbesondere der Geschäftsleitung, entscheidend.

Fazit

Strukturierte, gut verwaltete und wertgeschätzte Wikis mit qualitativ hochwertigen Inhalten sind erfolgreiche Wikis – vor allem dann, wenn die weiteren Rahmenbedingungen stimmen.

Literaturhinweise

[1]www.dita.xml.org
[2]www.home.hs-karlsruhe.de/~ziwo0001/pi-mod/intro.html
[3]https://s1000d.org
[4]http://de.wikipedia.org/wiki/Funktionsdesign
[5]www.semantic-mediawiki.org
[6]www.atlassian.com/software/confluence

Dieser Artikel von Ulrike Parson erschien in leicht veränderter Form im DOK.magazin 02-2014. 

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Das könnte Sie auch interessieren

Semantic Wikis. Or How Malta Became Semantic

von Jonas Wäckerle am 11. Juni 2013

Recently I read a wiki article about Malta. My friend Sarah wrote it. I knew Malta was a small island. I knew it was in the Mediterranean. What I did not know was that Malta was one of the smallest states in the world. I also learned that the capital of Malta is Valletta. Naturally I concluded that Valletta was located in Malta. Most of us would. Computers would not. Because the wiki article was not machine-interpretable. It had no semantic capabilities. mehr...